Interview

Russell Napier: «Wir treten in eine Zeit der finanziellen Repression ein»

Der Marktstratege Russell Napier spricht im Interview über seine These, weshalb die kommenden Jahre von strukturell steigender Inflation geprägt sein werden – und was das für Anleger bedeutet.

Mark Dittli
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Russell Napier sorgte vor einem Jahr in der Finanzwelt für Aufsehen, als er einen Regimewechsel verkündete: Nach fast dreissig Jahren, in denen die Weltwirtschaft von Deflation geprägt war, beginnt nach Ansicht des Marktbeobachters aus Edinburgh nun eine Phase mit strukturell steigender Inflation.

«Die gesamte Struktur des Finanzsystems wird grundlegend verändert»: Russell Napier.

«Die gesamte Struktur des Finanzsystems wird grundlegend verändert»: Russell Napier.

Genau wie nach dem Zweiten Weltkrieg werden Regierungen nach Ansicht Napiers eine Politik der finanziellen Repression verfolgen, in der das Zinsniveau an den Bondmärkten bewusst unter der Inflationsrate gehalten wird. Auf diese Weise können Schulden schleichend zum Verschwinden gebracht werden.

The Market hat sich mit Napier über seine Inflationsthese unterhalten. Im Interview erklärt er, welche Entwicklungen die kommenden Jahre prägen werden und wie sich Investoren darauf vorbereiten können.

Herr Napier, vor einem Jahr haben Sie eine Phase mit erhöhter Inflation prognostiziert. Sehen Sie die aktuellen Daten als Zeichen dafür, dass Sie recht hatten?

Ja, aber wir müssen unterscheiden. Meine Prognose basiert auf der Geldmenge, genauer gesagt auf der Wachstumsrate der breiten Geldmenge. Meine Argumentation beruht auf der Beobachtung einer strukturellen Verschiebung, die stattfindet. Die aktuell erhöhte Inflation basiert teilweise auf Angebotsengpässen, die sich lösen werden.

Die aktuelle Diskussion kreist um die Frage, ob die Inflation vorübergehend oder dauerhaft ist. Was spricht für Letzteres?

Zunächst einmal stimme ich zu, dass ein grosser Teil der heutigen Inflation durch die Angebotsseite, etwa durch gestörte Lieferketten, verursacht wird. Dieses Element wird sich korrigieren, daher können wir sagen, dass es vorübergehend ist. Ich würde jedoch ein Fragezeichen über die Angebotsseite hängen, und zwar betreffend China. Erinnern Sie sich daran, dass China 1994 seine Währung abwertete und eine Welle von Exporten auslöste – ich beschreibe diesen Prozess in meinem neuen Buch «The Asian Financial Crisis 1995-1998». Jahrelang wehte danach ein deflationärer Wind aus China über die Weltwirtschaft. Das wird sich aus zwei Gründen nicht wiederholen: Erstens, weil die Lohnkosten in China gestiegen sind. Zweitens treten wir in einen neuen Kalten Krieg ein, was bedeutet, dass wir weniger aus China kaufen werden. Wichtig ist meiner Meinung nach aber nicht die Angebotsseite, sondern die Tatsache, dass die Inflation längerfristig betrachtet durch das Wachstum der Geldmenge getrieben wird.

Wie meinen Sie das?

Wir beobachten derzeit ein ausserordentlich hohes Wachstum der breiten Geldmengenaggregate. In den USA stieg das Wachstum der Geldmenge M2 zeitweise auf 27%. Wegen des Basiseffekts geht dieser Wert nun zurück, aber ich denke, dass sich das M2-Wachstum in den USA um 10% einpendeln wird. Auch in Europa liegt es um 10%, und selbst in Japan liegt es deutlich über dem Durchschnitt der letzten dreissig Jahre. Die Folge eines derartigen Geldmengenwachstums ist eine Inflationsrate von über 4%.

Und warum?

Zunächst einmal möchte ich betonen, dass ich keine Inflation von 10 oder 20% sehe. Da und dort sprechen die Leute von Hyperinflation, aber ich halte das für unwahrscheinlich. Ich sehe hingegen eine Inflationsrate von mehr als 4% über mehrere Jahre. Haben wir jemals in der Geschichte ein Land gesehen, das dauerhaft ein Wachstum der breiten Geldmenge von 10% hatte, ohne dass seine Inflationsrate bei 4% lag? Nein. Je nach der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes kann es auch zu Phasen kommen, in denen die Inflation über 4% liegt.

Von welchem Zeitraum sprechen wir?

Für die nächsten zehn Jahre würde ich in den Industrieländern eine Inflationsrate zwischen 4 und 5,5% prognostizieren. Aber wohlgemerkt: Das Wichtigste an meiner Prognose ist nicht die Inflation per se. Wichtiger ist, dass die Zinssätze diese Inflationsrate nicht werden abbilden dürfen. Das ist die Schlüsselfrage: Wird es den kurz- und langfristigen Zinssätzen erlaubt sein, eine Inflation von 4% abzubilden? Meine Antwort lautet Nein. Wir werden in eine Periode der finanziellen Repression eintreten, in der die Regierungen die Zinssätze unter der Inflationsrate halten werden, genau wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Das wird die gesamte Struktur des Finanzsystems verändern.

Worauf stützen Sie Ihre Annahme eines Wachstums der breiten Geldmenge von 10%?

Der Grund für diese Zahl ist die Revolution, die letztes Jahr stattgefunden hat: Die Regierungen mischten sich in das kommerzielle Bankensystem ein, indem sie für Kredite des Privatsektors bürgten. Wenn ich mir die Daten anschaue, sehe ich, dass die Bankbilanzen um etwa 10% wachsen, was sich in einem M2-Wachstum von etwa 10% niederschlägt. Sie müssen bedenken, dass es nicht die Zentralbanken sind, die das meiste Geld schaffen, sondern die Geschäftsbanken. Mit dem Instrument der Kreditgarantien können die Regierungen so viel Geld schaffen, wie sie wollen. Aus dem Nichts.

Aber die Kreditgarantien waren doch Notmassnahmen, um die Auswirkungen der Pandemie zu bekämpfen.

Viele werden sagen, dass diese Programme enden und das Kreditwachstum der Banken zusammenbrechen wird, wenn die Pandemie vorbei ist. Nun, wir werden sehen. Die Regierungen haben politische Ziele, etwa die Verringerung der Ungleichheit, die Förderung grüner Investitionen, Infrastruktur und so weiter. Ich denke, wir werden mehr staatliche Garantien sehen, besonders für grüne Kredite. Ausserdem wird es wahrscheinlich zum ersten Mal seit Jahrzehnten einen privaten Ausgabenboom seitens der Unternehmen geben, sei es für grüne Investitionen oder Investitionen in neue Lieferketten. Meine Prognose eines M2-Wachstums von 10% basiert auf einer raschen Ausweitung der Bankbilanzen, die entweder durch die Nachfrage von privater Seite angetrieben wird, oder durch die Regierungen, die die Ausweitung der Bankkredite für politische Zwecke steuern.

Und die Zentralbanken werden kein Mitspracherecht bei der Steuerung der Geldmenge haben?

Nein, das werden sie nicht. Das ist, was nach dem Zweiten Weltkrieg passiert ist. Die Zentralbanken waren zu dieser Zeit machtlos. Das Geldangebot wurde von den Regierungen diktiert, die das Bankensystem kontrollierten. Zu diesem System werden wir zurückkehren. Die Regierungen können das nie offiziell sagen, denn der ganze Sinn der finanziellen Repression besteht darin, den Sparern langsam das Geld zu stehlen. Aus Sicht der Politik sind staatliche Garantien für Bankkredite eine tolle Sache: Sie sind keine offizielle Fiskalausgabe, sie sind keine explizit höhere Besteuerung, sie sind bloss eine Eventualverbindlichkeit auf der Bilanz des Staates. Sie schaffen politisch gesteuertes Wachstum, und sie schaffen Inflation. Für Politiker ist es eine magische Geldquelle.

Und Sie denken, dass die Politiker diese Quelle nicht wieder hergeben werden?

Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel geben: In Grossbritannien war die längste Laufzeit einer Festhypothek, die man normalerweise bekommen konnte, fünf Jahre. Boris Johnson hat nun eine 25-jährige Festhypothek für Erstkäufer geschaffen, die von den Banken angeboten und von der Regierung garantiert wird. Niemand kann behaupten, das hätte noch etwas mit Covid zu tun. Als Johnson das Programm ankündigte, sagte er, er wolle jungen Menschen den Zugang zum Hauskauf ermöglichen. Das ist ein gutes Beispiel, wie die magische Geldquelle für Zweck A – also Covid – entdeckt wurde und nun für Zweck B – die Förderung sozialer Gerechtigkeit – verwendet wird.

Sehen Sie kein Szenario, dass die Politiker zu fiskalischer Verantwortung zurückkehren werden?

Natürlich ist es möglich, dass Politiker, nachdem sie den einfachen Weg zur Wiederwahl entdeckt haben, sich entscheiden, ihn nicht zu nutzen. Ich wette dagegen. Politiker werden Kredite für grüne Investitionen forcieren, und es wird zweifellos andere politische Probleme geben, für die mehr billige Bankkredite als Antwort gesehen werden. Bedenken Sie: Die Einführung der Einkommensteuer in Grossbritannien war eine Notmassnahme im Jahr 1798. Sie ist heute noch in Kraft. Die politische Gesinnung spielt dabei keine Rolle. In den USA waren es die Republikaner, die während der Covid-Krise mit dem Payment Protection Programme das Bankensystem instrumentalisierten. Die Geschichte zeigt, dass die Republikaner, wenn sie an der Macht sind, oft fiskalische Grosszügigkeit und Kreditkontrollen befürwortet haben.

Der Bondmarkt scheint Ihre Prognose erhöhter Inflation nicht zu spiegeln. Warum?

Die Bondrenditen werden durch die Kaufprogramme der Zentralbanken gedrückt, und ich würde argumentieren, dass sie auch durch die Massnahmen der Regierungen gedrückt werden. Versicherungsinstitute müssen aufgrund der Regeln, die ihnen von den Behörden auferlegt wurden, Staatsanleihen halten. Wir werden feststellen, dass die Bondrenditen mit der Zeit völlig von der Inflation abgekoppelt werden. Sie werden kein ökonomisches Lehrbuch finden, in dem steht, dass das überhaupt möglich ist. Und doch gibt es eine lange Periode in der Geschichte, von 1939 bis 1979, in der Bondrenditen und Inflation weitgehend entkoppelt waren. Alle Lehrbücher gehen von einer freien Marktwirtschaft aus, in der der freie Wille der Investoren garantiert, dass die Bondmärkte die Inflationserwartungen einpreisen.

Und das ist nicht mehr der Fall?

Die Bondrenditen signalisieren uns heute, dass das Geschichte ist. Sie werden nicht mehr in einem freien Markt festgelegt. Und deshalb sind die meisten Fähigkeiten, die Investoren seit 1979 gelernt haben, obsolet. Ich spreche hier nicht von einem Konjunkturzyklus, sondern von einer grundlegend neuen Struktur. Wir treten in eine Zeit der finanziellen Repression ein. Wie Sie wissen, stand ich 25 Jahre lang auf der Deflationsseite des Arguments. Ich habe meine Meinung geändert, weil sich die Struktur geändert hat. Die Banken haben bis 2019 ihre Kreditvergabe eingeschränkt, die Geldmenge stagnierte, die Umlaufgeschwindigkeit sank, ergo war Deflation die Folge. Aber jetzt vergeben die Banken Kredite, weil sie von den Regierungen animiert werden, die breite Geldmenge wächst, und die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes wird steigen. Deshalb sehe ich strukturell steigende Inflation.

Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes befindet sich seit 2009 in einem Abwärtstrend. Wieso soll sich das ändern?

Wenn man sich die US-Finanzgeschichte anschaut, lag die Umlaufgeschwindigkeit von 1959 bis 2009 in einem recht stabilen Bereich von etwa 1,6. Die Abwärtsbewegung nach 2009 war das Ergebnis der Politik des Quantitative Easing des Fed. Mit QE kaufte das Fed Finanzaktiva auf dem Markt, und zwar von Finanzinstituten. Das einzige, was diese Institute mit der neu geschaffenen Liquidität tun konnten, war, mehr Finanzaktiva zu kaufen. Die QE-Politik erreichte nie die Realwirtschaft, sie schuf kein breites Geldmengenwachstum. Sie trieb nur die Preise für Vermögenswerte in die Höhe. Die breite Geldmenge, die jetzt vom Bankensystem geschaffen wird, wird die Realwirtschaft erreichen, daher wird sich die Umlaufgeschwindigkeit normalisieren.

Auf welches Niveau?

Ich denke, die Überraschung in den nächsten Jahren wird sein, wenn die Umlaufgeschwindigkeit wieder in Richtung 1,6 steigt. Die Vorhersage der Umlaufgeschwindigkeit ist verdammt schwierig. Der Abfall der Geschwindigkeit nach 2009 hat viele Leute getäuscht. Viele sagten damals, die QE-Politik müsse zwangsläufig Inflation erzeugen. Aber weil die Umlaufgeschwindigkeit zusammenbrach, kam es nie dazu. Dieses Mal könnte die Überraschung in die andere Richtung gehen.

Was wird die Umlaufgeschwindigkeit in die Höhe treiben?

Wenn die Menschen realisieren, dass ihre Ersparnisse gefährdet sind und sie etwas damit tun müssen. Das wird passieren, wenn die Regierung beginnt, die Bondrenditen zu deckeln, um sie dauerhaft unter der Inflationsrate zu halten.

Wird dies nicht bloss einen weiteren Anstieg der Preise von Realwerten wie Aktien provozieren?

Durchaus, deshalb empfehle ich auch Aktien und Immobilien. Wie die Erfahrung der drei Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg zeigt, sind Aktien und Immobilien in der Anfangsphase der finanziellen Repression die Profiteure.

Das Fed scheint nun allerdings den Ausstieg aus der extrem expansiven Geldpolitik vorzubereiten. Was halten Sie davon?

Die Zentralbanken sind irrelevant, weil sie das Geldmengenwachstum nicht mehr kontrollieren. Es gehört zum Wesen eines Regimewechsels, dass die Leute weiterhin auf das alte Regime schauen. Investoren orientieren sich immer noch an den Zentralbanken. Aber alle Instrumente, die die Zentralbanken haben, sind ziemlich bedeutungslos, wenn die Regierungen weiterhin die Vergabe von Bankkrediten zu den Bedingungen diktieren, die sie für notwendig halten. Die Zentralbanken haben keine Macht mehr.

Sie sagen also, dass es die Regierungen sind, die die Bondrenditen begrenzen werden, und nicht die Zentralbanken durch eine Politik der Zinskurvenkontrolle?

Ja, das ist wichtig. Es kommt in zwei Phasen. In der ersten Phase, die wir gerade durchleben, werden die Bondrenditen weitgehend von den Zentralbanken bestimmt. Aber es wird eine Zeit kommen, in der sie ihre Anleihenkäufe nicht mehr fortsetzen wollen, weil das gefährlich ist, wenn die Marktteilnehmer höhere Inflation erwarten. Viele Leute denken, dass die Bondrenditen in die Höhe schiessen werden, sobald die Zentralbanken aufhören, sie zu kaufen.

Werden sie das nicht?

Nein, denn dann werden die Regierungen die Finanzinstitute zwingen, Anleihen zu kaufen. Das ist die zweite Phase der Unterdrückung der Bondrenditen. Der Übergang von Phase eins zu Phase zwei wird nicht reibungslos sein; es müssen Gesetze verabschiedet werden, die es den Regierungen erlauben, die Ersparnisse des privaten Sektors durch eine stärkere Kontrolle über die regulierten Finanzinstitute zu nutzen. Es könnte also eine Phase geben, in der die Bondrenditen etwas schnell steigen und die Märkte in Panik geraten. Aber letztlich werden die Regierungen die Zinssätze deckeln, indem sie das Sparsystem nutzen. Genau so haben sie es nach 1945 getan, als die Gesamtverschuldung des Staates und des privaten Sektors letztmals so hoch war wie heute. Warum sollten wir nicht erwarten, dass die Regierungen die gleichen Mechanismen anwenden, die sie nach dem Krieg benutzt haben, um die Schulden zu senken?

Damit das möglich wird, müsste jede Idee einer Unabhängigkeit der Zentralbanken begraben werden?

Sehen Sie, es ist wie das Heilige Römische Reich: Es existierte tausend Jahre lang, die Leute sprachen darüber, aber es war macht- und bedeutungslos. Wir können sagen, dass die Zentralbanken unabhängig sind, aber die ganze Macht liegt bei der Regierung. Andy Haldane, der scheidende Chefökonom der Bank of England, schrieb in seinem Rücktrittsbrief, dass die Bank nach dem Zweiten Weltkrieg jahrelang ein Think Tank war und die Regierung die Zinssätze festlegte. Dazu können wir zurückkehren.

Aber kurzfristig könnten die Zentralbanken doch einen Tapering-Schock an den Märkten provozieren?

Um es mit Churchill zu sagen: Wenn du keine Macht mehr hast, dann rede so, als ob du sie hättest, und manchmal funktioniert das eine gewisse Zeit. Das ist, was sie tun werden. Sie werden reden. Dieses Reden kann auf kurze Sicht durchaus effektiv sein. Aber am Ende ist es wie im letzten Kapitel des Zauberers von Oz, wenn sie entdecken, dass der mächtige Zauberer nur ein winzig kleiner Mann hinter einem Vorhang ist, der eine Orgel spielt. Die Zentralbanken werden reden, um die Tatsache zu kaschieren, dass sie keine Macht mehr haben. Das funktioniert, bis es nicht mehr funktioniert.

Nehmen wir also das Drehbuch ab 1945: Etwa zwanzig Jahre lang hatten wir damals ein hohes nominales Wachstum. Was ist daran schlecht?

Für den Durchschnittsmenschen kann finanzielle Repression ganz gut aussehen. Sagen wir, Ihr Lohn steigt um 5%, und Ihr Hypothekarzins liegt bei 3%. Für die Mehrheit der Bevölkerung ist das keine schlechte Welt, selbst wenn ihre Löhne nur im Einklang mit der Inflation steigen. Den Preis bezahlen die Sparer. Selbst wenn man nur den Zeitraum von 1945 bis 1957 nimmt, hat man mit britischen Staatsanleihen 35% seiner Ersparnisse verloren.

Aber es war eine tolle Zeit für Aktien, nicht wahr?

Auf jeden Fall, wenn Sie in dieser Zeit in Aktien investiert waren, ging es Ihnen sehr gut. Deshalb mag ich auch heute Aktien. Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied: Bei Kriegsende lag die Rendite zehnjähriger Treasuries auf 2,5% und die Dividendenrendite für Aktien auf 10%. Aktien begannen die Periode der finanziellen Repression zu spottbilligen Bewertungen. Heute beginnt der Aktienmarkt diese Periode mit einer bereits sehr hohen Bewertung.

Und dann kam die Ära der Stagflation.

Ja, ab den späten Sechzigern begann die Stagflation. Es gab viele Faktoren, und die Ölkrisen waren sicherlich wichtig. Aber im Grunde genommen besteht das Problem darin, dass es auf lange Sicht zu einer Fehlallokation von Kapital kommt, wenn die Kapitalkosten durch den Staat verzerrt werden. Nach 1945 wurde über einen langen Zeitraum hinweg Kapital falsch alloziert.

Erwarten Sie auch dieses Mal zuerst einen Boom und dann Stagflation?

Ja, aber ich würde nicht erwarten, dass die Boomphase so lange anhält. Eine Wiederholung der Hausse von 1945 bis 1966 ist bei Aktien angesichts der bereits hohen Bewertung unwahrscheinlich.

Wie lange können die guten Zeiten andauern?

Die erste Phase kann drei oder vier Jahre lang dauern. Der Zeitpunkt, um Aktien zu verkaufen, ist dann, wenn die Regierungen die Sparinstitute zwingen, mehr Anleihen zu kaufen. Denn um zu kaufen, werden sie Aktien verkaufen müssen.

Und danach folgt eine Stagflation?

Wenn wir uns einig sind, dass Stagflation die Folge einer langen Periode von fehlalloziertem Kapital ist, das durch finanzielle Repression begünstigt wurde, dann müssen wir wieder damit rechnen. Fehlallokation von Kapital führt zu Inflation und Arbeitslosigkeit.

Wenn Sie optimistisch für Aktien sind, sollten Sie dann nicht auch optimistisch für Gold sein?

Ich bin sehr optimistisch für Gold. Das Problem für Gold im letzten Jahr war, dass die Zinsen gestiegen sind, weil die Leute immer noch glauben, es gebe einen Zusammenhang zwischen Inflation und Zinsen. Wenn die Leute glauben, dass es eine Inflation von 4% geben wird, werden sie erwarten, dass die Zinsen auf 5 oder 6% klettern werden. Diese Erwartung ist Gift für den Goldpreis. Erst wenn sie erkennen, dass der Zusammenhang zwischen Inflation und Zinsen nicht mehr besteht, wird der Goldpreis abheben.

Russell Napier

Russell Napier ist Autor des Solid Ground Investment Report und Mitgründer des Research-Portals ERIC. Er schreibt seit 1995 makroökonomische Strategiepapiere für institutionelle Investoren. Napier ist Gründer und Studiendirektor des Studiengangs in Practical History of Financial Markets an der Edinburgh Business School sowie Initiator der Library of Mistakes, einer Bibliothek für Finanzmarktgeschichte.
Russell Napier ist Autor des Solid Ground Investment Report und Mitgründer des Research-Portals ERIC. Er schreibt seit 1995 makroökonomische Strategiepapiere für institutionelle Investoren. Napier ist Gründer und Studiendirektor des Studiengangs in Practical History of Financial Markets an der Edinburgh Business School sowie Initiator der Library of Mistakes, einer Bibliothek für Finanzmarktgeschichte.