Interview

«Rohstoffe sind die einzige günstig bewertete Anlageklasse»

Der US-Investor und Buchautor Jim Rogers sagt im Interview, weshalb er auf mittlere Sicht mit massiv höheren Zinsen rechnet, welche Vermögenswerte noch günstig sind und weshalb er sich um den Franken sorgt.

Sandro Rosa
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Der Stress an den Finanzmärkten nimmt zu. Nachdem einige Regionalbanken in den USA kollabiert sind, haben auch in Europa die Spannungen zugenommen: Um Schlimmeres abzuwenden, wurde über das Wochenende die Übernahme von Credit Suisse durch den Platzhirsch UBS eingefädelt.

Trotz dieser Stresssignale macht sich der legendäre Investor Jim Rogers in der kurzen Frist keine Sorgen: «Die Zentralbanker sind nach dem Zusammenbruch der Silicon Valley Bank verängstigt, es wird also noch eine Weile gutgehen.» Vorerst werde das Fed von weiteren Zinserhöhungen nämlich wohl absehen. Längerfristig ist er jedoch überzeugt davon, dass die Inflation mit aller Macht zurückkehren wird, was eine schmerzhafte Baisse zur Folge haben wird.

Im Interview mit The Market äussert sich Jim Rogers zur Lage der Weltwirtschaft, sagt, welche Anlageklassen immer noch attraktiv bewertet sind, und erklärt, warum es weltweit keine gesunde Währung mehr gibt.

«Ich mache mir grössere Sorgen um den Franken als je zuvor in meinem Leben»: Jim Rogers.

«Ich mache mir grössere Sorgen um den Franken als je zuvor in meinem Leben»: Jim Rogers.

Bild: ZVG

Herr Rogers, wie beurteilen Sie derzeit die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte?

Wir hatten 2008 eine grosse Krise, und um sie zu bekämpfen, haben die Regierungen rund um den Globus mehrere Jahre lang Geld gedruckt, geliehen und ausgegeben wie nie zuvor. Die Weltwirtschaft war deshalb einige Jahre lang stark und ist es immer noch, weil die Regierungen weiterhin Geld ausgeben. Und wahrscheinlich wird es nicht mehr viele Zinserhöhungen geben, da die Währungshüter nach dem Zusammenbruch der Silicon Valley Bank verängstigt sind, sodass die Dinge für eine Weile gut laufen werden. Wenn jedoch die Inflation zurückkehrt, werden die Zentralbanken die Leitzinsen weiter erhöhen müssen, und dann werden die Märkte zusammenbrechen.

Das Fed wird die Zinsen in diesem Zyklus nicht weiter erhöhen?

Für den Moment ist es damit fertig. Aber wenn die Inflation zurückkommt – und sie wird zurückkommen –, werden weitere Zinserhöhungen notwendig sein. In den Siebzigerjahren hatten wir ein so grosses Inflationsproblem, dass das Fed die Leitzinsen auf den höchsten Stand in der Geschichte anheben musste. In den Achtzigerjahren stiegen die Renditen für US-Schatzanweisungen auf mehr als 21%. Und es funktionierte! Der Präsident wurde wiedergewählt, die Wirtschaft geriet zwar in eine Rezession, aber die Inflation ging zurück.

Ist der Stress im Bankensektor nicht ein Zeichen dafür, dass die Geldpolitik zu straff geworden ist?

Er ist ein Zeichen dafür, dass einige Marktteilnehmer sich übernommen haben, und zu einem späteren Zeitpunkt dürften weitere Probleme dieser Art auftauchen. Im Moment werden sich die Dinge jedoch beruhigen, denn Washington ist verängstigt, und das Fed wird die Zinsen wahrscheinlich nicht viel weiter oder gar nicht mehr anheben. Der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank bestätigt die Notenbank in der Annahme, dass sie das Inflationsproblem gelöst hat und nicht mehr allzu aggressiv an der Zinsschraube drehen sollte, um keinen weiteren Unfall zu provozieren. Aber das führt bloss dazu, dass dem Markt zu einem späteren Zeitpunkt neuerliche Leitzinserhöhungen drohen, und dann werden wir einen ernsthaften Bärenmarkt erleben.

Die Rezessionsängste haben nachgelassen, aber sie sind immer noch vorhanden. Für wie wahrscheinlich halten Sie eine Rezession in den nächsten zwölf Monaten?

Jeder weiss, dass eine Rezession kommen wird. Dieser Abschwung ist wahrscheinlich die am lautesten angekündigte Rezession meines Lebens. Ich habe gelernt, dass etwas, von dem jeder weiss, dass es geschieht, normalerweise nicht eintritt. Eine Rezession steht also wahrscheinlich nicht unmittelbar bevor, aber das bedeutet nicht, dass sie nicht irgendwann kommt und dass sie nicht schlimm sein wird.

In diesem Jahr wird es also eher keine Rezession geben. 2024 stehen die US-Präsidentschaftswahlen an, und normalerweise erhöht die Regierung die Ausgaben, um die Chancen auf die Wiederwahl zu verbessern. Könnte eine Rezession bis ins Jahr 2025 aufgeschoben werden?

Das ist ein gutes Argument, aber die amtierende Regierung weiss, dass 2024 Wahlen anstehen, weshalb sie versucht, das laufende Jahr gut zu gestalten und für optimale Voraussetzungen im nächsten Jahr zu sorgen. Aus historischer Sicht ist es wahrscheinlicher, dass 2023 erfreulich ausfallen wird. 2024 ist es schon spät im Zyklus, und dann beginnt typischerweise eine Rezession.

Wie bedeutet das für Anleger?

Normalerweise möchte ich in einer solchen Zeit nicht viel tun. Ich schaue mich um, um neue Märkte zu finden. Ich habe begonnen, in geringem Umfang in Usbekistan zu investieren, was aber nicht einfach ist. In die grossen Technologiewerte wie Amazon und ähnliche Unternehmen möchte ich nicht einsteigen. Sie bieten wohl die Möglichkeit für einen kurzfristigen Trade, als Investition sind sie aber nicht geeignet, denn der schmerzhafte Bärenmarkt kommt erst. Und in einem richtigen Bärenmarkt fallen die früheren Lieblinge typischerweise am meisten. Wenn Sie ein guter Händler sind, könnte sich eine Gelegenheit ergeben. Ich bin keiner.

Abgesehen von Nischenmärkten wie Usbekistan: Wie sollte ein typischer Anleger sein Vermögen aufteilen?

Es gibt nicht viele günstige Vermögenswerte. Anleihen befanden sich in der grössten Preisblase aller Zeiten, viele Aktien befanden oder befinden sich noch immer in einer Blase, die Immobilienmärkte von Korea bis Neuseeland sind in einer Blase. Die einzige Anlageklasse, die nicht überteuert ist, sind Rohstoffe. Silber notiert 60% unter seinem Höchst, Zucker liegt mehr als 50% unter seinem Rekordhoch – das sind keine Blasenwerte. Rohstoffe sind also günstig, und normalerweise entwickeln sich Rohstoffe bei hoher Inflation erfreulich.

Konzentrieren Sie sich auf einzelne Rohstoffe, oder sind Commodities generell ein Kauf?

Am besten ist es, in einen Index zu investieren, vor allem, wenn man sich mit Rohstoffen nicht gut auskennt. Die Geschichte hat immer wieder gezeigt, dass es für Anleger besser ist, einen breiten Index zu kaufen – sei es ein Aktienindex oder ein Rohstoffindex.

Würden Sie auch in Bergbauunternehmen und grosse Ölkonzerne investieren?

Natürlich, wenn Sie das Unternehmen gut kennen. Der grosse amerikanische Schriftsteller Mark Twain sagte einmal, die Definition einer Goldmine sei ein Loch im Boden, vor dessen Eingang ein Lügner stehe. Wenn Sie viel über Bergbau wissen und das entsprechende Unternehmen genau verfolgen, sollten Sie in Goldminen investieren. Aber Mark Twain hat auf die harte Tour gelernt, dass man mit Bergbauunternehmen viel Geld verlieren kann.

Als Mark Twain lebte, gab es noch keine ETF. Andernfalls hätte er seine Anlagen diversifizieren können.

In der Tat sind börsengehandelte Fonds für die meisten Anleger besser als Einzelaktien.

Wo sehen Sie bei Aktien Chancen?

Der japanische Aktienmarkt notiert rund 30% unter seinem Höchst von 1989, damit befindet er sich mit Sicherheit nicht in einer Blase. Auch China handelt weit unter seinem Höchst. Es gibt also Märkte, die im historischen Vergleich immer noch unter Druck stehen. Ich halte Ausschau nach Chancen in China und in Japan, ich besitze ETF auf japanische Aktien.

Wie beurteilen Sie europäische Aktien? Seit Oktober haben sie sich überdurchschnittlich entwickelt ist das ein guter Zeitpunkt zum Kauf, oder handelt es sich bloss um ein Strohfeuer?

Ich glaube, es ist ein Strohfeuer. In einem Umfeld wie jetzt gibt es immer wieder Vermögenswerte, die stark steigen, wenn der Markt sich erholt, und das ist die Art von Trade, auf die sich Händler gerne stürzen. Für mich ist es eine Falle, weil die Erholung nicht nachhaltig sein dürfte.

Hilft es nicht, dass es in Europa mehr Value-Titel gibt?

Nein, denn die nächste Baisse wird die schlimmste sein, die wir je erlebt haben. 2008 war schrecklich, weil die Verschuldung zu hoch war, aber seitdem hat die weltweite Verschuldung nochmals massiv zugenommen. In einem solch heftigen Bärenmarkt wird niemand verschont.

Wie schätzen Sie die Öffnung Chinas ein? Ist sie positiv für die Weltwirtschaft oder eher ein Problem, weil sie die Inflation anheizen wird?

Die Öffnung wird sicherlich zur Belebung der globalen Konjunktur beitragen, China ist immerhin die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt. Aber sie wird die Inflation nicht sofort anheizen, denn die chinesische Wirtschaft befindet sich schon seit einiger Zeit in einer Flaute. Doch die Inflation wird zurückkommen, weil die Regierungen noch mehr Geld drucken werden – das ist das Einzige, was sie zu tun wissen.

Ist diese mögliche Rückkehr der Inflation ein Argument gegen Staatsanleihen, obwohl sie nach den zuletzt gestiegenen Renditen deutlich attraktiver geworden sind?

Anleihen waren in einer riesigen Blase, und normalerweise tendieren die Kurse nach dem Platzen stark in die andere Richtung. Wie schon erwähnt erreichten die Zinsen in den USA in den Achtzigerjahren 21%. Und von einem solchen Niveau sind wir noch weit entfernt.

Erwarten Sie, dass die Renditen noch viel höher steigen werden dass die Renditen auf zehnjährige US-Staatsanleihen vielleicht 15% erreichen?

Ich bin mir sicher, dass sie das tun werden. Wir haben ein ernsthaftes Inflationsproblem, und es wird noch schlimmer werden. Wir werden diese Niveaus nicht in diesem Monat und auch nicht im April erreichen, aber die Zinsen werden sehr, sehr hoch steigen.

Viele Länder und Unternehmen sind hoch verschuldet können sie höhere Zinsen überhaupt verkraften? Wird es nicht viele Insolvenzen geben?

Sicher – wir hatten erst vor ein paar Tagen einen Konkurs in Amerika! Die weltweite Verschuldung ist heute höher als je zuvor. Eine extreme Verschuldung wurde immer entweder durch Konkurse oder Gelddrucken gelöst.

Was steht sonst noch weit oben auf Ihrer Sorgenliste?

Noch einmal: Die Krise im Jahr 2008 wurde durch zu hohe Schulden ausgelöst. Seitdem hat die Verschuldung weiter zugenommen. Damals konnte uns China aus der Patsche helfen, doch jetzt ist sogar China hoch verschuldet. Alle haben eine Menge Schulden. Deshalb glaube ich, dass wir bei der nächsten Krise ein ernsthaftes Problem haben werden. Die USA sind zur grössten Schuldnernation in der Geschichte geworden, während sie vor vierzig Jahren noch eine Gläubigernation waren.

Und die Lösung ist, die Schulden wegzuinflationieren?

In der Vergangenheit gab es immer entweder Inflation oder Zahlungsausfälle. Natürlich ist es denkbar, dass irgendein Politiker plötzlich findet: Oh, wir haben ein Schuldenproblem. Wählt mich, und ich werde es lösen! Wenn der Politiker dann aber anfängt, die Staatsausgaben zu kürzen und Schulden zu tilgen, werden die Menschen die harten Massnahmen nicht tolerieren. Folglich wird er aus dem Amt geworfen oder ermordet, weil die Wähler den Schmerz nicht ertragen können.

Und Zahlungsausfälle?

Alternativ kann man einen Zahlungsausfall herbeiführen, was ebenfalls schmerzhaft ist, wenn auch etwas erträglicher als die Ausgabenkürzungen. Oder man kann die Schulden weginflationieren, was normalerweise der einfachste Weg ist. Über Jahrhunderte haben Politiker gelernt, einfach mehr Geld zu drucken. Als die Römer zu viele Schulden machten, entwerteten sie ihr Geld, indem sie die Silbermenge in den Münzen verringerten. Manchmal führt eine zu hohe Verschuldung gar zu einem Krieg.

Das bringt uns zurück zu den Sachwerten, wie etwa Rohstoffen, die einen Schutz gegen Inflation bieten.

Das ist ein möglicher Ansatz. Ich besitze Silber, und ich erwarte, dass ich mehr Silber und generell mehr Sachwerte kaufen werde, denn historisch gesehen kann man sich bei Inflation oder Chaos mit Sachwerten schützen.

Auf welche Signale achten Sie, um abzuschätzen, wann sich der nächste Abschwung anbahnt?

Wenn die Aktienmärkte stark steigen und alle Anleger euphorisch werden, wenn man spürt, dass sich der Markt einem Zustand der Hysterie nähert, dann naht das Ende. Diese Art von Überschwang hatten wir vor ein paar Wochen, und er wird wahrscheinlich wieder kommen. Ich hoffe, dass ich dann in der Lage sein werde, die Zeichen zu erkennen. Allerdings wird niemand eine Glocke läuten und rufen: «Das ist das Signal, auf das wir gewartet haben!»

Apropos Vermögenswerte, die bei Chaos schützen: Wie schätzen Sie die Entwicklung des Frankens ein?

Historisch gesehen war der Franken eine vergleichsweise wenig problembehaftete Währung. Aber jetzt hat sogar die Schweizerische Nationalbank seltsame Handlungen vorgenommen. Früher war der Franken durch Gold und solide Reserven gedeckt, jetzt sind es Aktien von Apple, Amazon und Samsung. Ich mache mir um den Franken grössere Sorgen als je zuvor in meinem Leben. Das führt mich zu der Frage: Gibt es überhaupt gesunde Währungen? Ich kenne derzeit keine, die das ist.

Vielleicht der Renminbi?

Nicht einmal die chinesische Währung ist solide. China ist stark verschuldet und die Währung nicht konvertierbar. Es ist schwer, eine solide Währung zu finden. Die USA haben viel getan, um den Dollar zu entwerten, der früher die internationale Reservewährung war und völlig neutral sein sollte, sodass ihn jeder auf der Welt benutzen konnte. Heute ist es so, dass die USA ein Land, das sie nicht mögen, einfach aus dem Dollarsystem ausschliessen. Kein Wunder, suchen jetzt sogar Amerikas Freunde nach einer Alternative zum Dollar. Ich weiss noch nicht, was die Lösung sein wird, aber die Welt wird von Washington gezwungen, den Wechsel zu beschleunigen. Vielleicht sind Gold und Silber eine vorübergehende Lösung, aber sie haben ihre eigenen Probleme. Am Ende braucht es eine neue internationale Währung, aber ich habe sie noch nicht gefunden.

Ist Bitcoin keine Lösung?

Nein. Viele Länder rund um den Globus erwägen die Einführung von Kryptowährungen. Regierungen mögen Kontrolle und Macht, und ich nehme an, dass sie sagen werden: Ihr könnt Computergeld verwenden, aber es wird unser Computergeld sein.

Jim Rogers

US-Investor und Buchautor («Street Smarts») Jim Rogers hat in jungen Jahren als Geschäftspartner des Financiers George Soros, mit dem er in den Siebzigerjahren den Hedge Fund Quantum führte, ein Vermögen gemacht. Mit 37 Jahren kehrte er Wallstreet den Rücken, um die Welt zu erfahren - wortwörtlich. Seine Eindrücke fasste er in den Büchern «Investment Biker» und «Adventure Capitalist» zusammen. Auf seinen Reisen kam er zum Schluss, der Welt stehe ein langer Rohstoffboom bevor. Die Bedeutung Chinas und das Potenzial von Rohstoffen wurden in «Hot Commodities» und «A Bull in China» thematisiert. Zeitweise war Jim Rogers Gastprofessor an der Business School der Columbia University. 2007 zog er mit seiner Familie nach Singapur, in der Überzeugung, das 21. Jahrhundert werde das Jahrhundert Asiens sein.
Quelle: ZVG
US-Investor und Buchautor («Street Smarts») Jim Rogers hat in jungen Jahren als Geschäftspartner des Financiers George Soros, mit dem er in den Siebzigerjahren den Hedge Fund Quantum führte, ein Vermögen gemacht. Mit 37 Jahren kehrte er Wallstreet den Rücken, um die Welt zu erfahren - wortwörtlich. Seine Eindrücke fasste er in den Büchern «Investment Biker» und «Adventure Capitalist» zusammen. Auf seinen Reisen kam er zum Schluss, der Welt stehe ein langer Rohstoffboom bevor. Die Bedeutung Chinas und das Potenzial von Rohstoffen wurden in «Hot Commodities» und «A Bull in China» thematisiert. Zeitweise war Jim Rogers Gastprofessor an der Business School der Columbia University. 2007 zog er mit seiner Familie nach Singapur, in der Überzeugung, das 21. Jahrhundert werde das Jahrhundert Asiens sein.